Der demografische Faktor schlägt zurück!

von Dankwart Dussek, Hamburg

 

Windstille.


Der aufgetakelte Ozeanriese dümpelt träge an einem verwunschenen Kai irgendwo im Hamburger Hafen, von Ferne hört man gedämpft das Gebimmel der Scientology-Kathedrale, sachte blubberts aus den Abwasserrohren der städtischen Kanalisation - was wohl könnte einen friedlicheren Eindruck vermitteln, als diese Szenerie vorm Tor zu den Weltenmeeren? Man möchte die Augen schliessen und sanft sich dahintreiben lassen an diesem warmen Sonntagmorgen im August des Jahres 2023 ...

"Ich lass Dich auch gleich dahintreiben!", erschallt plötzlich die knorrige Stimme eines alten Mütterleins, das sich, wie hunderte andere Senioren auch, von hinten angeschlichen haben muss, die Gehhilfe entschlossen in Position gebracht, die Silberbüchse perfekt in den Spazierstock integriert. Die Tarnkleidung in den altersgerechten Pastelltönen lässt die Truppe zu nahezu allem bereit erscheinen. Und dann fällt dieser Satz, gegen den es keine Gegenwehr gibt:
"Wir sind schliesslich hier, um Deine Zukunft zu verteidigen!"

"Und die beginnt nunmal am Hindukusch!", weiss Konteradmiral Hauke Harmsen, der von einer Sekunde auf die andere neben mir Stellung bezogen hat, elegant zu ergänzen; die Uniformhose so zackig gebügelt, die Uniformjacke so knackig gespannt, die Schirmmütze so ...

"Sie müssen schon entschuldigen, wenn ich Ihren Gedankengang so rüde unterbreche", fährt Harmsen jovial fort, "aber die Situation ist verdammt ernst! Und diese Leute haben es verdammt eilig!"

"Das müssen ja Tausende sein", sprudelt es fassungslos aus mir hervor, "Tausende, wenn nicht gar Abertausende ..."

"Nein, nein, es sind nur 700", weiss Harmsen zu berichtigen, "aber was heisst hier "nur"? Diese 700 sind der ganze Stolz des Katharinenstifts! Und jetzt treibt es sie hinaus - an die Demokratenfront". Harmsens Stimme wirkt plötzlich heiser, wie aufgeraut, als wäre genau ein Whisky zuviel die alte Kämpferkehle hinabgegurgelt. "Aber wie sollten ausgerechnet Sie das verstehen können? Sie sind schliesslich zu jung, um in Grabenkämpfen verheizt zu werden. Sie müssen ja schon die Produktion aufrecht erhalten!“ Für einen kurzen Augenblick scheint Harmsen hasserfüllt in meine Richtung zu blicken, aber sofort hat er sich wieder im Griff.

"Ja, das war schon ein genialer Schachzug vom alten Steinmeier, damals bei der Neuverhandlung der Genfer Kriegskonventionen ... ". Ein kräftiges Schmunzeln spielt nun um seine vollen Lippen: "Durchzusetzen, die Schlachtfelder der Zukunft grundsätzlich mit Treppenliften aufzurüsten: auf die Idee muss man erst mal kommen. Ja, der Steinmeier ...“

"War ein guter Mann ...“, schiebe ich intuitiv nach; man weiss schliesslich auch als Jungspund, was sich gehört.

"Einer der Besten!“, beendet Harmsen das Thema. "Leider hat es ihn dann am Kayber-Pass ja schnöde dahingerafft ...“

Eine kleine Brise kommt auf ... das Schiff hat abgelegt, es fährt jetzt einer fremden, einer unbarmherzigen Welt entgegen. Gut getarnt als Ausflugsdampfer wird es die sieben Meere durchtuckern, erst die kleinen, dann die grossen ... und am Ende einer langen Reise wird ein anderer Wind wehen ...
"Erna, tu mal eben die Rheumadecke!" dringt ein zartes Stimmchen noch durch den Höllenlärm der High-End-Diesel, nur um alsbald wieder zu verstummen.Wozu auch viele Worte machen, wenn doch alles seinen ruhigen Gang geht? So vieles könnten wir von diesen Menschen lernen ... wenn wir nur wollten! Auch Harmsen ist erschüttert: "Prachtvolle Truppe!", quetscht er zwischen zusammengekniffenen Lippen hervor und dann bricht es aus ihm heraus: "The kids are allright!" Für einen kurzen Moment scheint sich ein vorwitziger Lichtstrahl in seinen Augen zu brechen. Oder ist da sogar eine Träne? Betreten blicken wir wieder auf das weite Meer. Im Norden zieht ganz sanft eine Nebelbank auf, Möwen umkreisen das immer kleiner werdende Schiff. Wie sagte doch der grosse Brehm? Möwen  -  sind die Geier des Seemanns ...
Harmsen hat sich von einer Sekunde auf die andere wieder entfernt, ebenso geheimnisvoll wie dienstbeflissen. Dann wird alles so still....

Und wie ein letzter weher Gruss scheint leiser Gesang über die bleiern glänzenden Wellen zu uns Zurückgebliebenen an Land zu treiben: " ... wie das Wetter auch wird für unser Klima, Medima, Medima ..."

Vor unseren Augen verschwimmt das Schiff der 700 langsam im Abendrot zwischen Himmel und Meer ...

Dann verschwimmen auch wir.

 

 

 

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