nach einer wahren Geschichte aus der nahen Zukunft
(c)2008 by Sebastian Swampdiver
weitergesponnen und zu Ende erzählt von Rüdiger Schnürschuh
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"... Sie sind also Geheimagent und ihre Freundin heisst Clara-Vera? Das ist ja fast zu schön um wahr zu sein", kniete sich Brabazon voll in den abendlichen Smalltalk. Wir hatten uns aus der Lobby in die angrenzende Bar begeben, wo befrackte Kellner ein unwilliges Ballett aufführten.
"Wieso ist die denn nicht auch hier?", hakte er neugierig nach.
Ich zuckte abweisend die Schultern: "Das ist eine lange Geschichte. Oder eine kurze. Auf jeden Fall gehört sie nicht hierher. Also die Geschichte. Schliesslich geht’s hier ums Geschäft."
Ich faltete die Hände vor dem Bauch, um eine lässig-überlegene Position einzunehmen. An der Börse, vor Gericht und im Agentenmilieu sind neunzig Prozent reine Psychologie. Heute bin ich froh, dass ich diesen Satz niemals laut ausgesprochen habe, aber damals ...
"Kommen sie zur Sache, Domprobst!"
"Oh, Sie wollen ihre Rolle eisern durchziehen, was? Aber das hier ist kein Kaspertheater, mein Bester. Es geht wirklich um ziemlich viel ... Die Sache ist tatsächlich entschieden zu ernst, um sie auf die leichte Schulter zu nehmen. Und zu lukrativ: ich biete Ihnen einen Porsche 911, 100.000 Euro in bar und einen Sitz im Bundestag, wenn Sie mein kleines Rätsel lösen können."
"Was?"
"Ja, das dachte ich mir, dass Sie da aufhorchen! Das war aber nur ein kleiner Scherz, um Ihre Reaktion zu testen - der Herr wird ihn mir dereinst sicherlich vergeben. Vielleicht, weil er der einzige ist, der ihn verstanden hat. Nun, wie auch immer: Ich biete Ihnen tatsächlich 10000 Euro für die richtige Lösung. Im Ernst, steuerfrei und bar auf die Hand!"
Alarmiert rutschten meine Hände auf die Stuhllehnen: "Könnten wir das vielleicht schriftlich festhalten?"
"Aber auf gar keinen Fall! Ein Mann - ein Wort!"
"Nun, wir sind zwei Männer, nicht wahr ..."
"Zwei Männer – zwei Worte!"
"Zwei Worte?"
"Ganz recht."
Ich musste nur kurz überlegen, zwei Männer - an was erinnerte mich das nur: "Zwei Bier?"
Brabazon nickte bedächtig mit hochgezogenen Augenbrauen.
...
Ein übler Kalauer hatte unseren Bund besiegelt. Da war nun nichts mehr zu machen: der Menschenfischer hatte mich an der Angel. Ganz ohne Köder - ein Wunder!
Ehe wir zu den harten Fakten kamen, beschlossen wir, an den Strand zu gehen; in diesem Hotel hatten die Wände höchstwahrscheinlich Ohren. Sagte jedenfalls Brabazon auf halbem Weg zum Nachtmeer.
"Bei meinen Schäfchen daheim war das ja eher andersherum: da hatten die Ohren Wände! Da konnte man predigen, was man wollte ...", schwatzte der Pfarrer munter drauflos. Wären wir nicht schon so elend weit zum Meer gelatscht, hier wäre der Punkt gewesen, an dem die ganze Geschichte ein frühes Ende hätte finden können. Aber da ich schon das Wasser roch und die mallorquinischen Cervezas ihren Teil zur nervlichen Tieferlegung beigetragen hatten, ging ich einfach immer weiter mit und beschränkte mich darauf, hin und wieder zustimmend zu murmeln.
Am Strand setzten wir uns in den klumpigen Sand und hörten den Wellen zu, die eine wie die andere ans ufer pladderten.
Ich räusperte mich.
"... es geht also um ein Gedicht?"
"Oh ja! Ich folge jetzt schon seit mehreren Jahren seiner Spur und bin doch noch keinen Schritt weitergekommen. Es wird mehr und mehr zu einer fixen Idee, zu einer Obsession. Vielleicht steckt ja gar nichts dahinter? Vielleicht ist ja alles nur ein frommer Wunsch? Von mir? Dem frömmelnden Pfarrer aus ... ach ... "
" ... aus?", versuchte ich bauernschlau einen verbalen Fuss in die Tür zu stellen, bekam aber keine Antwort.
Brabazon brütete stumm vor sich hin. So kam es mir jedenfalls vor: sehen konnte ich ihn ja nicht, wir hatten Neumond und die paar Sterne am Himmel erleuchteten das Geschehen hier unten am Meeresrand nur sehr unvollkommen. Vielleicht feixte er ja frech durch die Nacht und machte sich lustig über meine Gutgläubigkeit.
"Das Gedicht lautet folgendermassen", zog er mich zurück an Bord, "... nein, warten Sie mal, können sie eigentlich gut englisch?", stiess er mich wieder raus.
"Für den Ulysses von Joyce hat’s jedenfalls gereicht", brummte ich und formte einen Sandkloss.
"Oh, entschuldigen Sie, ich wollte sie wirklich nicht beleidigen. Geheimagenten müssen selbstverständlich ihre Lingua franca aus dem Effeff beherrschen." Ein leises Lachen: "Sorry!"
Er stand auf und warf irgendwas ins Meer.
"Ich muss mich ein weiteres mal entschuldigen", sagte er und es platschte erneut vor uns auf.
Minutenlange Still folgte, und dann:
"So geht es einfach nicht, ich muss es, also das Gedicht, Ihnen schriftlich zur Kenntnis bringen. Es gibt keinen anderen Weg. Wir müssen wieder zurück. Kommen Sie!"
Ich hörte verblüfft, wie sich Fussstapfen leise entfernten und folgte ihnen notgedrungen wie ein Blinder.
Den ganzen Weg zurück zum Hotel sprach Brabazon kein einziges Wort.
(fortsetzung folgt)