N E T S K A T E R
L E S E N !
D A M I T
E
E U C H
W O H L
E R G E H E
U N D
I H R
M Ö G L I C H S T
L A N G E
W A N D E L T
A U F
E R D E N ! :)
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„ ... und dann packte der Hohepriester das beklagenswerte Opfer am Halswickel, hielt es für Sekunden über den schwefligen Abgrund und all das nur, um einen gut gefesselten Mitbürger vermutlich mittels eines geschickt getarnten Arschtritts ins Innere des tobenden Vulkans zu entsenden, dem Rachegott in den göttlichen Rachen sozusagen und danach gingen alle nach Hause oder Ballspielen oder weiss der Kondor was, warum auch nicht, die Ernte fürs nächste Jahr war ja gerettet durch einen vollkommen falsch verstandenen Bezug zum Transzendentalen und wenn dann doch eine grosse Hungersnot ausbrach, war’s natürlich die Schuld des Opfers, das einfach nicht rein oder jungfräulich genug gewesen war!“
Monte-Boff legte eine kleine Pause ein, um den Übersetzer auch zum Zuge kommen zu lassen. Was mochte der denen jetzt wohl erzählen? Unwahrscheinlich, dass dieser Schreckensmensch alles mitbekommen, geschweige denn verstanden haben sollte, was er, Kardinal Monte-Boff, gerade runtergespult hatte. Und ehrlich gesagt: es war ihm ja sowas von egal ... sollte der denen doch erzählen, was er wollte!
Was für ein Klima!
Was für eine Luftfeuchtigkeit!
Was für ein Land!
Der Übersetzer hatte seinen Sermon runtergeschnurrt und guckte wohl auch ein wenig überfordert aus der tilma, aber warte erst mal ab, amigo, das war noch gar nichts!
Monte-Boff deutete jetzt auf eine hinter ihm angebrachte Tafel, die ein ewig altes Eingeborenengekrakel zum einzigen Inhalt hatte.
“Korrelativ zum nie entzifferten Text dieser heidnischen Botschaft stand natürlich das Verhalten der spirituellen peer-group, aber eine Transduktion ins Neuzeitliche machte erst möglich die Tiefensonarmessung des komatösen Inneren dieses weitgehend magmaresistenten Vulkancondamnators.“
Der einheimische Übersetzer versackte irgendwo zwischen grupo-peero und tiefem Sonar und griff hektisch nach seinem Glas Wasser. Halbleer, mein Guter, halbleer! funkelte Monte-Boff ihm zu, beschloss aber, aus Rücksicht auf seine eurozentrischen Gäste, schnell zum grossen Finale zu kommen.
“Well. Folks, diese Stele ist meines Wissens nie entziffert worden. Dabei ist doch alles so einfach. Die Sonarmessung nämlich ergab den genauen Zeitpunkt, an dem der Todesschrei des fallenden Opfers mit seinem selbsterzeugten Echo aus der Tiefe des Vulkans eine Art kosmische Interferenz bildete und man nunmehr zweistimmig dem Exitus entgegensackte. Und da die Tonhöhe übers ganze gesehen selbstverständlich enorm geschwankt haben dürfte, heisst die korrekte Übersetzung dieser Hieroglyphen also: Orgelpunkt bei Tiefenmeter 85! Ich danke Ihnen!“
In den Beifall mischte sich unüberhörbar Dan Vogelbirds Krokantbass:
“Und ich dachte schon, das hiesse ’e pericoloso sporgersi’ ! Versteht ihr? Hier Rand of Vulkan! Du nix drüberlehnen!”
Derselbe Dan Vogelbird, der als Laudator Monte-Boffs bislang einziges Buch so angepriesen hatte: “... und hat Monte-Boff sozusagen das Diktum Wittgensteins ’worüber man nicht reden kann, darüber muss man schweigen!’ auf eine neue Stufe der Erkenntnis gehoben: ’wovon man keine Ahnung hat, darüber muss man ja wohl zumindest ein Buch schreiben.’!“ Vogelbird!
Die spanisch sprechenden Ordensbrüder rafften ihre Kutten zusammen und verliessen den Speisesaal Richtung Laudate.
“Loben, immer loben!“ konnte MB sich nicht enthalten ihnen nachzurufen. Verstanden sie ja sowieso nicht. Doch siehe, die Servierplatten waren bestens gefüllt, da konnte man noch mal ordentlich nachladen. Schliesslich feierten alle zusammen das kombinierte X-mas-Erntedankfest, obwohl ja durchaus unverständlich war, wieso hier überhaupt irgendwas wuchs. Hier - im Norden von Chile. Einem Land so schmal, dass es praktisch nur aus Grenze bestand. Kauf dir eine Packung Zigaretten und lauf schräg zur Kompassnadel: entweder wirst du als Schmuggler erschossen oder du ersäufst im Ozean! Hatte dieser Witz Zukunft? Mindestens Kleinstbühnentauglich war er doch ... oder? ... Oder der hier: was ist ein minimales Familientreffen? Eine Nonne im Biergarten! Oberin trifft Ober ... war doch gar nicht mal so schlecht, aber das Thema war ja abgehakt, das war ja schon lange vom Tisch, schon seit er sich damals hatte entscheiden müssen: Erzbischof oder stand-up comedian - “Beides geht nicht, mein Bester!“ Wahre Worte, gelassen in den Raum gedrückt von seinem Jugendfreund ... Dan Vogelbird!
An der Tafel verblieben waren jetzt nur noch, von irgendeinem Sponsor MB vors Auge geladen: die drei Europäer, der verfressene Abt, sowie der Übersetzer.
“Übersetzen, immer übersetzen!“, herrschte er diesen an, während er sich seinen Teller zum vierten mal vollschaufelte.
“Que? Was ich sollen übersetzen wenn du nur fressen? Schmatz schmatz? Miam miam?“
Wildempört riss MB die Augen auf, die Kelle mit Vanille-Mandarinencreme wie eingefroren auf halber Höhe samt rechter Schöpferhand, so, als wollte er mit ihrem Inhalt gleich dem nächstbesten Dolmetsch die Visage grundieren: Vamos, andale: Tortenschlacht!
Zur rechten Zeit hob Peter Punk wie gottgefügt artig seinen Finger: “Was nun diesen Vulkan angeht ...“
“Wir haben ihn wieder zuschütten lassen!“, fand Monte-Boff zurück zur Würde des Amtes.
“Oh, i see! Aber sie haben ja noch die Aufzeichnungen des Tiefensonars - welch ein Segen für die Wissenschaft! Daten sagen ja so sehr viel mehr als ihre Verursacher, nicht wahr?“
“Und alle drei führen geradewegs in die hölle!“ mischte sich der Abt zu aller Überraschung grollend ins Gespräch.
“Alle drei?“, wollte Barbie jetzt ganz dringend und ehrlich verwirrt wissen und trotzdem noch gut dabei aussehen.
“Vulkane, Daten und Verursacher!“, grollte der Abt und löste damit eine sekundenlange Stille aus.
“Apropos Vulkane, Daten und Verursacher, da fällt mir ein hübsches Gedicht ein,“ nahm Vogelbird den Faden souverän wieder auf und beugte sich energisch in Richtung Barbie Wires:
“I am aetna -
you’re vesuv -
be my lava -
let’s make luv’ ”
Barbie quietschte laut auf. “Oh, Entschuldigung, Monsignore,“ schob sie eilig nach und spielte verlegen mit ihrem Rotweinglas, lächelte aber dabei wie frisch gebenedeit.
’Das musste ja so kommen!’ dachte der entgeisterte Monte-Boff. VOGELBIRD!
Es pochte dumpf an die Tür doch keiner der Erntedanker mass dem irgendeine Bedeutung bei. Aber schon eine Minute später kam der Hausmeister in den Bogengang geschlurft und meldete einen späten Gast. Einen Bruder von jenseits des grossen Flusses. Oder sowas ähnliches. Wer wollte das schliesslich verstehen? Auf jeden Fall betrat ein wahrer Hungerhaken den Raum und näherte sich mit allen Anzeichen ortsüblicher Begeisterung dem Ranghöchsten im Raum.
“Also mir!“ dachte MB vergrätzt.
“Bruder, Erzbischof, wir haben da in unserem Herrenkloster ein gewisses Problem mit dem heutigen Erntedankfest.“
“Soso.“
“Ja. Es ist nämlich so: die Ernte hat es dieses Jahr völlig verhagelt. Und was stehengeblieben ist, haben die Heuschrecken gefressen. Und das Vieh hat sich beim Weiden nach Argentinien verlaufen, ist im Ozean ersoffen oder wurde zur illegalen corned-beef Produktion abgeworben. Das heisst: unsere Teller sind leer. Die Brüder haben gewisse Schwierigkeiten mit dem Danken. Weil sie nicht so recht wissen wofür ...“
“Ein leider nur zu bekanntes Problem!“, befand MB: “Und es führt weit über das Materielle hinaus: es ist ein dermassen philosophisches Problem, dass zwanzig ausgewachsene Heuristiker es kaum gemeinsam umdenken könnten! Und wir sind hier doch nur zu sechst ...“
Ein schräger Blick zum Übersetzer: “Naja, sieben ... Also meine Lösung, so sie irgendeiner wissen möchte? Stark bleiben! Immer stark bleiben!“
“Ihr meint also, wir sollen dennoch danken?“
“Aber ja! Danken, immer danken!“
“Es ist nur so, es sind ja nicht nur wir, die hungern. Allen andern hier geht’s ja genauso. Die Menschen werden unruhig und bilden Gruppen mit (gnarz) revolutionärem Potential. Zum ersten mal nach fast 30 Jahren hab ich zum Beispiel folgendes Gedicht wieder gehört:
eine Kunst ist uns das Heilen
wie das Schiessen mit den Pfeilen
und seh’n wir kranke Missionare -
wir kurierens mit Curare!
Das war vor langer, langer Zeit der Schlachtgesang der Quoatzl-Indios, die sich auf ihre Weise gegen die Kolonialisierung wehrten. Das alles taucht jetzt wieder auf ...“
“Ach, das ist doch alles Quatsch! Was haben wir denn damit zu tun? Also jetzt pass mal auf, mein Bester, unser Bruder Hausmeister hier packt dir jetzt ein schönes Fresspaket zusammen, damit schiebst du dann ab in dein Kloster und ziehst ein zünftiges Erntedankfest auf. Und morgen sieht schon wieder alles ganz anders aus. Wieso sprichst du eigentlich meine Sprache so gut?“
“Na, ich bin doch ein Landsmann ...“
“Ein Landsmann, soso, na dann ’venceremos’ wie man hierzulande ja wohl sagt, oder ’pueblo unido’ und ’gaudeamus igitur’ von mir aus auch noch und nun Gottbefohlen, mein Bester, adieu, adieu ...“
Diese Reise ans Ende der Welt wurde mehr und mehr zu einem einzigartigen Fiasko und jetzt ergriff auch noch Vogelbird das Wort:
“Vielleicht könnte man diese Leute ja als Hungerkünstler auftreten lassen, die Eintrittskarten zur Show würden kombiniert mit Verzehrcoupons und während die da oben auf der Bühne kunstvoll darben, frisst sich das Publikum die Wampe krumm, das wär so ähnlich wie abends vor den tv-Nachrichten, nur, dass man jetzt nochmal ordentlich abkassieren könnte und der Aspekt des Miterlebens, der sinnliche Faktor sozusagen .....“
“Naja ...“, sinnierte Barbie Wire lahm.
“Pah, war nur so ’ne Idee“, wiegelte Vogelbird ab, setzte aber sogleich nach:
“Ich kann mir schon denken, wie das hier endet: die stecken uns alle in den grossen Pott und fressen uns dann auf und vorne drauf hat wahrscheinlich einer auch noch ’vaya con dios’ gepinselt!“
Nachdem alle mehr oder weniger verlegen gelacht hatten, machte Peter Punk den Abt höflich darauf aufmerksam, dass der späte Besucher wohl vergessen hatte, die Tür hinter sich zu schliessen. Alle drehten sich um und sassen für einen Moment völlig still auf ihren Stühlen. Dann überschwemmte ein Pfeilhagel den Raum und liess keine weiteren Aktionen mehr zu.
Wir alle kennen die Wunder der Technik.
Was aber wissen wir über die Technik der Wunder?
Denn nur Monte-Boff entkam wie durch ein Wunder in seinem molekularverstärkten Diensthubschrauber.
DE RETRO!
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