MadStop@Loser's_Paradi.se

(c)2008 by Sebastian Swampdiver

 

eine Folge zurück

 

 

2

 

 

Beim dritten Läuten hatte ich mich aus meinem Tagtraum herausgewühlt und aktivierte die Freisprechanlage meines Firmenwagens.

“Ja?“

“Wie geht es meinem Schnuffelbärchen so früh am morgen?“ waberte ein weiblicher Alt aus grauem Telefonplastik: “Muss mein geheimes Schnuffelbärchen wieder so schrecklich viel  geheimarbeiten?“

Clara-Vera und ich haben ein ganz einfaches Fernsprechabkommen: steht mein Handy auf Empfang, darf sie mich anrufen, wann immer sie will. So wie jetzt. Schnell schaltete ich die Freisprechanlage wieder aus.

“Schön, dass es Sie auch noch gibt!“ quäkte mein Chef gleichzeitig aus dem Minilautsprecher der firmeneigenen Autofunkeinheit.

Wenn es Sie auch noch gibt!“, insistierte der Chef mit viel Freude am Job, “es gibt Sie doch noch, oder?“

Das kam nun wirklich extrem unpassend. Auch mein Chef und ich haben ein ganz einfaches Abkommen: er darf mich anrufen, wann immer eine dienstliche Notwendigkeit dazu besteht. Oder aus jedem anderen Grund.

“Sind sie noch beim zugewiesenen Objekt?“, fragte es scheppernd, wenn auch nicht sonderlich beunruhigend aus der Hitech-Membran. Es ist doch immer wieder erstaunlich, wie sehr Bösartigkeit an Gewicht verliert, wenn ihr die Bässe flöten gehen.

“Sie sind doch noch beim zugewiesenen Objekt?“

“Natürlich ...“, antwortete ich vorsichtig.

“Okay, sie können die Observation abbrechen. Karl übernimmt. Warten sie auf ihre Ablösung und melden sie sich dann sofort in meinem Büro. Und zwar in Person. Und nicht per Fon!“ Quietschendes Gelächter beendete die Verbindung. Es hätte allerdings auch die quietschende Tür in der dritten Etage eines gewissen Büroturms in der Innenstadt sein können: beides wirkt exakt gleich motivierend.

“Wer war denn das?“, wunderte sich Clara-Vera, die natürlich mitgekriegt hatte, dass die andere Geisterstimme nicht mehr in der Leitung war. Ich grinste schnaubend in die Handymembran. Clara-Vera, die lebende Antwort auf die alte Frage “Wer überwacht die Überwacher“.

“Ach“, sagte ich, “das war nur mein Chef. Da braucht wohl wieder mal jemand seinen besten Mann ...“

“Oh, dass mein Schnuffelbärchen nur ja nicht wieder was gefährliches machen muss!“, zirpte Clara-Vera durch den Äther, “den besten Mann brauch’ selbstverständlich ich!“

Sie weiss natürlich ganz genau, wie sehr sie mich mit diesem idiotischen Gequatsche auf die palme bringt. Und wie sauer ich dann werde und wie intensiv ich mich am späten Abend darüber aufregen muss ... nun, genau so will sie’s ja.

“Okayokay“, dröhnte sie mir jetzt mit normalem Tonfall ins Ohr, “dann mach mal alles klar mit deinem Objekt. Ich denke, wir sehen uns heute Abend, oder? Muss jetzt noch dringend einen Text redigieren. Also dann: see you babe!”

Ehe ich noch etwas hätte sagen können, war das Gespräch beendet. Was für eine Welt: die Frauen Sadisten, die Männer Dilettanten ...

Das “Objekt“ war ein Mehrfamilienhaus in einer ruhigen Vorortseitenstrasse der Grossen Stadt. Hier wohnten offensichtlich Menschen, die der Hektik des Alltags rigoros abgeschworen hatten: in den dreieinhalb Stunden, die ich vor diesem Wohnsilo nun schon Posten schob, hatte sich tatsächlich überhaupt niemand auf oder neben der Strasse blicken lassen. Müdes rotes Haus. Marlowe hätte dieses Haus sofort mit einem abgrundtief coolen Vergleich zu beschreiben gewusst. Aber ich war nicht Marlowe. Ich war nur der Detektiv ohne Namen. Marlowe hatte einen Namen. Klar dass der das konnte. Gelegentlich fuhr ein Auto an mir vorbei, aus einer anderen Existenzebene stammend und unterwegs zum nächsten Schwarzen Loch, mit unbeschreiblichen Insassen und alle fragten sich wahrscheinlich gerade verzweifelt, wo in aller Welt sie denn hier gelandet waren. Schlafstadt? Nie gehört!

Um nicht ebenfalls einzuschlafen – so kurz vor der Ablösung wäre das nicht sehr intelligent gewesen -knipste ich das Radio an; die letzte Nacht hatte durchaus ihre Höhepunkte gehabt und einige Male wäre ich auf meinem Sitz fast schon weggenickt. Das Radio erwachte mit grandiosem Gefunkel und schickte sofort Till Brönners Lättafresserjazz wie ein ranziges kleines Frühstück aus den Boxen. Eine Station weiter liess ein Sender deutsche Schlager aus den Lautsprechern dudeln. Demut vernebelte kurzfristig mein Gemüt – über was wollte ich mich eigentlich beklagen? Musikredakteur bei wdr4 – das musste der wahre Höllenjob sein!

Ein schwarzer Kombi kroch jetzt verdächtig genau mit den erlaubten 30 km/h die Strasse entlang und hielt gut zwanzig Meter vor meinem Honda in einer Parkbucht. Wie exakt doch ein Rädchen ins andere griff ... meine Ablösung: Kometen-Karl, standesgemäss im grossen Wagen.

Kometen-Karl heisst Kometen-Karl, weil er nach 13 Semestern Astrophysik feststellen musste, dass man Dunkle Materie nicht essen kann. Um dennoch seine hohen Entropiewerte aufrechtzuerhalten, war er, wie er nur zu gerne erzählt, leider gezwungen, auch nachrangige Tätigkeiten zu verrichten. “Und da ich im Grunde nichts so richtig kann, bin ich halt bei diesem Job hier gelandet“, beendet er dann für gewöhnlich seine Geschichte mit einem schrägen Lächeln.

Die Sache mit der Entropie hab ich nie so richtig verstanden, der Rest seiner Erklärung ist dafür von beunruhigender Deutlichkeit. Ich fühle mich immer etwas unwohl in Karls Nähe, und sogar über eine Distanz von zwanzig Metern schwappten jetzt die unguten Gefühle in mein Auto. Ich kratzte mich nachdenklich am Hals; laut Observierer-Handbuch hätten wir ja noch ein paar Minuten ganz professionell verstreichen lassen müssen, um die Stabübergabe nicht zu auffällig zu machen, aber das war mir einfach zu blöde. Ausserdem wartete der Chef im Büro mit einer Riesengeschichte auf mich. Und auf Karl wartete ein müdes rotes Haus. Da fiel mir der kurze Blick in den Seitenspiegel nicht weiter schwer - na dann: Abflug.

Als ich an Karls Auto vorbeifuhr, winkten wir uns minimalistisch zu, um die Ablösung mannhaft zu besiegeln. Wir hätten das natürlich auch ganz offen erledigen können, schliesslich beobachtete uns ja niemand. Aber ich denke mal, dazu waren wir einfach zu cool.

Ich bin der Mann, der das Gaspedal durchtritt!

 

(fortsetzung folgt)

 

eine Folge vor

HOME