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  Die literarische Laberecke: Gastkommentar

 

 

  Ein Knacker-Leben!

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                                                    Eine Mythologie von Theo Töpper

 

 

 

Wer knackt so spät in Nacht und Sturm?

Die Knacker sind’s, am Talerturm...

(Altes Entenhausener Liedgut)

 

 

 

 

Prolog

Mein Informant nestelte hektisch am notdürftig überklebten Nummernschild auf seiner breiten Brust; ein schneller Blick nach links, einer nach rechts  - schien es nicht hinter seiner Augenmaske erleichtert aufzublitzen?

“Hab’ keine Zeit, Mann, hier, das hab ich auf unserm letzten Kappenfest mitgehen lassen. Mach damit, was du willst, Mann, Hauptsache, das Märchen von der Bande ohne Namen kommt aus der Welt ... und jetzt hau ich wieder ab, Mann, muss noch was ausbaldowern!“

Für seine massive Gestalt bewegte sich mein Gegenüber erstaunlich leichtfüssig und war auch alsbald hinterm Horizont verschwunden, ja, diese Welt war klein ...

Versonnen betrachtete ich die Tischreservierungskarten in meiner Hand. Keine Nummern. Nur Namen. Nichts als Namen. Aber was für welche! Ludwig “Fun“ Beethoven, Johann “Klopstock“ Goethe, Theodor “Mahlzeit“ Adorno....

 

 

 

 

Die Älteren unter den Gerontologen werden sich erinnern  - als in den späten 50ern der Soziopath Dagobert Duck das Interesse der Entenhausener Altersforschung auf sich zu ziehen beginnt, verblüfft eine Riege blutjunger Antikapitalisten die Geschäftswelt durch riskante und rigide, ja nachgerade rigorose Umverteilungsaktionen auf höchstem Niveau - die freilich samt und sonders unter einem Aspekt sich zusammenfassen liessen: alle gingen den Bach runter!

Und das Menetekel aller vergeblicher Müh’ stand inmitten der braven Bürger Entenhausens: der Geldspeicher von Dagobert Duck.

Unbezwingbar - doch unwiderstehlich. Uneinnehmbar - doch leider auch unübersehbar ...

Wer solche Feinde hatte wie old man Duck, brauchte nun wirklich keine Freunde mehr und ein typischer Gerontologenschnack jener Zeit lautete denn auch : “Ein Knacker pro Tach hält dich knackig und wach!“

(Eine Maxime, die ewige Gültigkeit zu besitzen scheint, denn wer denkt jetzt nicht sofort an den alten Mann Lance Armstrong, dem es ja nicht genügte, erster auf dem Mond gewesen zu sein, nein, er musste auch noch die Tour de France 70mal gewinnen! Und das doch nur, weil der Knacker-Knabe Ullrich den ständigen Loserpart gab, Gott ja, die Rennradler ...)

 

Menschen, die ihre Mitbürger auf derartige Höhen des Daseins zu katapultieren in der Lage sind, sollten jedoch zumindest eine gewisse Tiefe im Inneren ihres Treibens aufweisen  -  wie zum Beispiel Bob Dylan! Und das weiss ja auch kaum einer, dass selbst der mal ganz klein angefangen hat, mit dem Mini-Meissel in der hohlen Hand, dem knabengerechten Vorschlaghämmerchen in der anderen, und während der Rest der Band im tiefsten Bass gegen die Mauern anwummert, knackelt sich Klein-Bob in spillerigem Vorschulfalsett durch’s Ducksche Urgestein  –  “Lord, i got the jack-hammer-blues“ klingts schaurig durch die Nacht -  was freilich der alten Dame gegenüber schon Anlass genug ist, die uniformierte Schutzmacht einschreiten zu lassen ... frustriert schnürte der immer noch junge Dylan darauf seinen Knacksack und machte rüber nach New York, wo er sich seitdem mit Schlagern wie "knacking on heaven’s door“ mehr recht als schlecht durchs Leben kalauert.

 

Ja, so sind sie, die Geschichten, wie sie gerne am Lagerfeuer von Generalwaldmeistern den Fieselschweiflingen vorgesungen werden; doch wie sieht’s in der Realität aus?

 

In der Realität schaltet Franz Gans (weil Oma Duck gleich mit den Hühnern aufsteht) schwer sinnend den Fernseher ab: “War das jetzt wirklich Colin Powell, der gefeierte Irak-Held? Oder war’s nicht doch eher Nummer 176-761?“

Gans rührt damit sogleich rein intuitiv ans Grunddilemma des Knackertums: Denn sollte es ein unveränderliches Merkmal geben, ein ewig gültiges PK-Erkennungszeichen, so ist es doch dieses: die Ununterscheidbarkeit der einzelnen Delinquenten!

Nun - dass Delinquenten in Entenhausen wie ein Ei dem anderen ähneln, mag ja irgendwie in der Natur der Sache liegen. Doch sollte es schon klar sein, dass es sich auch (und gerade hier!) um eine Randgruppe handelt, die allein durch die tendenziöse Art der Berichterstattung zurückgeworfen wird auf  die Ebene des Gleichgerichtet-Kollektiven, des Kleingeistig-Organisierten, mit einem Wort: des Kommunal-Amorphen! Und spätestens jetzt wird klar, wohin der Rubel rollt ...

Denn eins darf man niemals vergessen: Chronist Barks war, bei aller Genialität, ein hemmungsloser Reaktionär und eingeschworener Republikaner und somit ein natürlicher Verfechter der Theorie, dass alles was sich links, subversiv oder sonst irgendwie gesellschaftskritisch gibt, unter der überschrift “kriminell“ bestens aufgehoben ist.

Oder anders ausgedrückt:

Ja, da fehlt doch die Bereitschaft zu einer differenzierten Betrachtung der Welt und ihrer Insassen, und was dabei herauskommt, wissen wir ja nun: der Panzerknackermassenmensch, identisch bis zur letzten Bartstoppel mit jedem seiner alteri egos  -  hoch die gelebte Solidarität!

Und schon hätten wir alle Bedrohungen Entenhausens unter einem Matrosenhut: Kriminelle und Kommunisten sind’s, die wahren Widersacher wunderlicher Werte, so klebts und kleisterts nunmal im Kleinhirn des Kleinbürgers.

 

Doch auch die akademische Intelligenz wusste sich durchaus kritisch mit den Panzerknackern auseinanderzusetzen. So beklagte z.b. der beliebte Philosoph Labermas nicht zu Unrecht zeit seines Lebens “das ständige Verhaftetsein im Hier und Jetzt!“.

 

Ja, sie sind die ideale Projektionsfläche für alle Bedenkenträger und sie tragen wahrhaft schwer, die Herren mit dem Nummernsalat auf den  roten Pullovern. Oh tragische Symbolik!                      

Und? Tragen sie vielleicht sonst noch was? Aber ja. Sie tragen Hosen. Und das ist wahrhaft alles andere als selbstverständlich: denn wird in unseren Breiten jeder präpotente Jungerpel zwangsweise in Armani-Jeans gesteckt, gilt in Entenhausen wundersamerweise genau das Gegenteil: in Entenhausen gibt es keine Entenhosen.

Ganze Generationen von Eigeborenen denken sich nichts dabei, lediglich mit einem dünnen Leibchen, einer Bluse, einem T-Shirt bekleidet bis zu den Spitzen der Gesellschaft vorzustossen!

Denn es gilt auch hier das Lebensmotto des grossen Entdeckers Darwin: Wo nichts drüber, da nichts drunter! Und wo nichts ist, hat der Moralist auch nichts zum Anstoss nehmen. Das aber hält ihn nüchtern und freundlich gestimmt.

Der altbekannte Idealzustand der anglo-schottischen Urahnen - no sex please! – hier ist er nicht nur vorbildlich umgesetzt, hier ist er nachgerade zirbeldrüsenmässig implementiert in Tun und Trachten einer ganzen Kultur.

Ja, was Reproduktionstechniken anbelangt, muss die Evolution ausgerechnet in der Stadt der Enten eine besonders aparte Abkürzung gefunden haben, und, hart bedrängt vom wissenschaftlichen Peloton, ein weiteres mal als Etappensieger vom Rad gefallen sein: das unschuldig-weisse Federkleid der herrschenden Klasse – schaumgeboren aus Kernseife und Triebverzicht - hier erklärt es uns zumindest die zunehmende Veronkelung des Barks-Universums.

Aber welch dustres Geheimnis schlummert da unter den blaubraunen Beinkleidern der ewig Unrasierten? Eine animalische Kraft, die, unbenannt und unbekannt, das Böse auf seinen subversiven Weg geleitet? Den vorgezeichneten Passionsweg eines jeden Panzerknackers? Vom ’Triebwagen’ sozusagen direktemang in die ’grüne Minna’ ...? ...!

 

Hüstel.

 

Also, fassen wir zusammen:

Die Inkarnation des kollektiven Schuldbewusstseins einer ganzen Zivilisation ist und bleibt der gemeine Panzerknacker an sich. 

Wir wollen ihm daher ein vehementes “Quo vadis“ entgegenschleudern!

 

In diesem Sinne: knax vobiscum!

 

 

 

 

Epilog

Auf meiner ziellosen Wanderung durch die Stadt hatte ich mittlerweile vollständig die Orientierung verloren; floss die Gumpe jetzt links von mir oder rechts? Lag das Paulahölzchen noch in weiter Ferne oder eher doch so nah? Und dieses klobige Gebäude dort vor mir, war das nicht das Stadtgefängnis? Und versuchte nicht mein Informant soeben, die schweren Gitter mit einer Eisensäge ...

Mutter Natur und Vater Staat, dachte ich leise vor mich hin, wie sie doch beide das Vakuum verabscheuen; die eine in der grossen weiten Welt und der andere in seinen Gefängniszellen!

Grundgütiger  -  gäbe es die Panzerknacker nicht, man hätte sie wohl erfinden müssen!

Wohlig schaudernd machte ich mich auf den Heimweg. “Ach, ich armes Würstchen!“ lamentierte es hinter mir.

Ebeneben.

 

Ein Knackerleben.

 

 

 

 

Herr Theo Töpper erfüllt vorbildlich alle Kriterien für einen Gastkommentar in der Literarischen Laberecke:

1) Er ist ein Gast

2) Er kommentiert

3) Er beschäftigt sich irgendwie mit Literatur

4) Er labert

 

 

 

 

 

 

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