______________________Gastkommentar_______________________

 

Niemand ist eine Werbeinsel!

 Aber hat Werbung Zukunft?      

 

Ein Essay von Thaddäus Proll-Haderer*

 

 

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Ein Aufschrei gellt durch's Land: Die Werbeindustrie befindet sich in der grössten Krise ihrer Geschichte!

So oder ähnlich müsste es uns eigentlich aus allen Zeitungen ins Gesicht springen, von TV-Sendern in die weite Welt gefunkt werden, in Internet-Foren in bits und bytes gegossen den User um den Schlaf bringen ...

Denn wer will sich den ganzen Unsinn schliesslich noch ansehen? Wer kann noch ohne Gewissensqualen einen OBI-Baumarkt betreten, 'nen Joghurt mit 'ner Ecke verkosten, oder ein "zoom-zoom" Auto erstehen? Wer, frage ich, schafft es, ohne ästhetischen Würgreiz eine Packung Melitta-Kaffee aus dem Regal zu zerren?

Es ist wie im Märchen vom LHC und den drei goldenen Neutrinos: je mehr Energie man in etwas hineinsteckt, desto eher stürzt alles ab! Und je mehr sich die Webeindustrie anstrengt (deren Macher sich im Übrigen gerne "Kreative" nennen, wahrscheinlich weil sonst niemand auf diesen Gedanken gekommen ist), desto konsequenter erreicht auch sie nur das Gegenteil: für den einen kaufwütigen Mitbürger, den sie an Land ziehen kann, werden Tausende von vornherein versenkt ...

Ja  -  Werbung nervt, stört, stumpft ab, wo sie doch irritieren, erregen, inspirieren sollte!

So kann es natürlich nicht weitergehen und deshalb haben interessierte Kreise aus Kultur, Politik und Wirtschaft zusammen mit der ersten Reihe der deutschen Werbeindustrie ein Konzept für eine zügige Überwindung der derzeitigen Akzeptanzkrise erarbeitet.

Ich präsentiere hier nun erstmals, frisch aus dem Scrap-Book des PR-Marktführers 'Endzeit-Ink' geklont:

 

 

Die Werbung der Zukunft!

 

I

Benennung des Problems:

                    Problem ist ganz klar - Grenzen des Wachstums, imperiale Überdehnung, quakquak, blablabla!

 

                    II

Lösungsansatz der Konkurrenz:

                    Wie sagte schon Petrus in seiner Pfingstpredigt: "Tut Buße! / Kehrt Um!"

                    Quergedanke: Sollte er damit Handzettelverteiler gemeint haben? Idee später vertiefen, 

                    führt  momentan nicht weiter

 

III

Lösungsansatz Bestes vom Bauern/CMA:

Titel: Einbindung der neuen Eliten in werberelevante Kampagnen-Strukturen!

These: Die neue Elite definiert sich überraschenderweise über den Lateinunterricht

Begründung: Seit einigen Jahren ist ein verstärkter Run auf das Fach Latein zu verzeichnen, obwohl es primär keinerlei Nutzen für beruflichen Erfolg verspricht. Massgeblich verantwortlich dafür dürfte ein sozialer Nebenaspekt sein: Latein lernen die, die sowieso schon besser gestellt sind - in deren Windschatten sich zu bewegen, wird klassenübergreifend als karrierefördernder erachtet als profane Mainstream-Ausbildung. Daraus folgt die

Idee für TV-Kampagne, dargestellt an der Firma ERASCO

Man sieht: Muttern kocht am Herd. Sohn, Lateinschüler am örtlichen Gymnasium, kommt aus der Schule, im Schlepptau ein unglaubliches Ohrfeigengesicht, Sohn sagt: "Salve, Mutter! Ich hab' heute den Sven-Tilman zum Mittagessen mitgebracht. Geht doch in Ordnung, oder?"

Mutter: "Ähhh ...!"

Man sieht förmlich, wie sie denkt: "Ja Kacke, wie soll ich denn NOCH einen Fresser satt kriegen!"     Mutter sagt jedoch: "Aber Moment mal, ich hab ja noch ..." Und Schnitt! Dann sitzen alle am Tisch. Gespannt blickt die ERASCO-Familie zum Gast, denn der ist der einzige Sohn des örtlichen Grossgrundbesitzers. Endlich legt der seinen Löffel weg und sagt feierlich:"Quod erasco demonstrandum!" Allgemeines Freudengelächter! Die schlagfertige Mutter antwortet: "Veni - vidi - erasco!", was die ausgelassene Stimmung noch einmal wesentlich verstärkt. Während alle lebhaft weiterjuxen, schaut Mutter in die Kamera und sagt ernsthaft: "Gut, wenn man immer einen Pott Erasco extra im Haus hat!" Das Bild fadet aus - die kleine Tochter quiekt noch schnell: "In Erasco veritas!", dann gibt aus dem Off der Vater die Stimme des Volkes: " ...na, das versteh sogar ich!"

 

IV

Lösungsansatz Beamtenbund

Titel: Get it while you can!

These: Da kann man erzählen was man will: Fremdenfeindlichkeit existiert nunmal, auch und vor allem hier bei uns - und ist daher viel zu präsent, um nicht werberelevant verwurstet zu werden und damit basta!

TV-Werbeidee al dente:

Mamma Miracoli ist schon wieder durch den Einbürgerungstest gerauscht!

Der vereidigte Prüfer mit strenger, doch sorgenvoller Miene: "Schade, schade, schon wieder versemmelt ... aber kann ich heute abend trotzdem zum Essen kommen?" (vernudelt statt versemmelt wäre hier eigentlich angebrachter, gibt's aber noch nicht ... noch nicht!)

Die Kamera zieht auf, man hört Mandolinenklänge, fröhlichen Familienlärm, wild hupende FIAT 500 ... (Hinweis: darauf achten, keine blühenden Zitronen ins Bild zu bekommen). Mamma Miracoli jedenfalls freut sich unübersehbar trotz der Riesenpleite, denn sie darf ja wieder Miracoli kochen.

Jetzt erscheint überraschend Franz Beckenbauer auf dem Bildschirm und sagt: "Na, und beim nächsten Ma(h)l - da schaun mer mal!"

Ungebrochener C-Dur-Doppel-Schlussakkord.

Moral: wir nehmen und geben zwar gerne, aber eine letzte Grenze muss halt einfach existieren! (vorgesehen für: RTLII, Tele4, NEUNlive)

 

V

Lösungsansatz der Vereinigten Wurstemirate Niederbayern

Titel: Das Kind beim Namen nennen!

These: Rassismus ist sicherlich eine üble Sache, aber ähnlich wie bei den diversen F.-feindlichkeiten gilt auch hier der Satz: wo ein Henker da kein Denker! (Dieses Motto unter KEINEN Umständen näher erläutern!)

Als Speerspitz der deutschen Wurstwarenemissäre haben wir die Firma "Deutschländer" ausgemacht, die prädestiniert dafür erscheint, in einem Freund/Feind-übergreifenden TV-Werbespot alle an einen Tisch mit leckeren einheimischen Wurstspezialitäten zu verfrachten.

Azubi (Typ Pausbacke, mit pfiffigem Käppi), versenkt gekonnt das Hackebeil im Hauklotz und erzeugt damit landsmannschaftliche Geschlossenheit.

Azubi: "A Paus'n is'!"

Man sieht: Azubi und Meister (Typ in sich gefestigter Haustyrann, Ulli Hoeness (?)) beissen knackig in je ein Würstchen.

Azubi: "Meister, dürfen Ausländer eigentlich Deutschländer fressen?"

Meister: deutet aus dem Fenster, man sieht: es ist wieder mal Fussball-WM, draussen haben Türken einen Autokorso mit türkischen UND deutschen Flaggen dekoriert ...

Meister: "Manche schon ..."

Alle lachen, Ende.

(Nachtrag: In der Version für die neuen Bundesländer wird am Ende noch rasch das Beil aus dem Klotz gezogen)

Moral: Deutschländer den Deutschen, aber gerne auch allen anderen, wenn sie sich doch nur anpassen würden! (Sollten sie viele Würstchen verzehren, bräuchten sie sich entsprechend weniger anpassen etcetc ... Konzept muss noch mit Fakten abgeglichen werden)

 

VI

Lösungsansatz Vereinigung Deutscher Programmzeitschriften

Titel: Der ganz grosse Gott-sei-bei-uns!

These: Die grösste negative Reizfigur aller Zeiten! Wenn man den irgendwie ins Werbekonzept integrieren könnte, hätte man für immer und ewig ausgesorgt!

Ideenanriss für den TV-Spot einer Firma, die sich erst ganz zum Schluss zu erkennen geben möchte ...

Die Kamera zoomt sich rasant aus einer Kaffeetasse heraus und zeigt: Adolf Hitler sitzt mit amerikanischen Austauschschülern am Obersalzberger Kaffeetisch.

Hitler (in typischer Schnarrdiktion): "Ahrg! Kaffee!! Und für euch, meine verehrrten amerikanischen Austauschschüler - ein leckerres Tässchen Muckefuck!"

Amerikanische Austauschschüler: >krnch!<

Hitler: "Das muss euch garr nicht peinlich sein - ich habe früher auch viel Muckefuck getruncken!"

Amerikanische Austauschschüler (versuchen, sich das Lachen zu verbeissen): >krnch!<

Stimme aus dem Off: "Ja, früher war halt vieles noch anders ... aber eins ist sich immer gleichgeblieben: KABA, der Plantagentrank!"

(man sieht: eine Tasse im close-up, in der träge eine braune Brühe umeinanderschwappt)

Stimmen aus dem Off: "... ssät is 'mackefack' in your lanquage ..."   -   " >krnch!<"

Fazit (folgenden Satz mit Pathos ausstossen, jede Art von Schnarren jedoch unbedingt vermeiden): Hitler, Slapstick und Sex Sells - und das alles in nur einem Spot von 30 Sekunden - meine Damen und Herren, Sie haben die Revolution der Werbewelt gesehen!

 

Wie hiess es doch dereinst? Auch schlechte Werbung ist gute Werbung! Mittlerweile ist jedoch selbst gute Werbung nur noch eins: ein urbaner Mythos, lediglich durch schweigende Übereinkunft aller Beteiligter in einer geisterhaften Existenz gehalten! Ist es da wirklich zu viel verlangt, die Prämissen neu zu ordnen, die Parameter neu zu verlegen und schlicht und einfach zu sagen: Auch gute Werbung ist schlechte Werbung? Wo doch die Werbung der Zukunft die beste Werbung aller Zeiten zu werden verspricht?

Nun - diese Zukunft scheint jedenfalls fast erreicht zu sein.

Man ist versucht, hinzuzufügen: "Endlich!"

 

 

 

 

*Herr Proll-Haderer erfüllt vorbildlich alle Kriterien für einen Gastkommentar in der Literarischen Laberecke:

1) Er ist ein Gast

2) Er kommentiert

3) Er beschäftigt sich irgendwie mit Literatur

4) Er labert

  

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