MadStop@Loser's_Paradi.se

nach einer wahren Geschichte aus der nahen Zukunft

(c)2008 by Sebastian Swampdiver

zu Teil eins

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18

 

 

Haben sich die Pfaffen erstmal die Wampe vollgefressen, gehen sie danach nur umso lieber auf die Piste!

Den Pfarrer mal eben locker abservieren?  Ich hatte selten ein rosigeres Gesicht gesehen, das die Freuden der Völlerei weniger zu verbergen trachtete, als das des strahlenden Kirchenmannes nach dem Mittagessen! Darüberhinaus hatte er die Logistik voll an sich gerissen, bestellte und bezahlte das Taxi, wedelte mit einem antiquierten Stadtplan kühlende Luft durchs Gefährt, vor allem aber: er zeigte sich auch nicht eine Millisekunde irritiert über meine Gegenwart. Natürlich thronte er auf dem Beifahrersitz und schaffte es trotz Sicherheitsgurt spielend, sich praktisch die ganze Fahrt über nach hinten umzudrehen und die Rückbank mit äusserst belanglosen Gesprächen unter Beschlag zu nehmen. Ich hörte einfach gar nicht hin und sah mir die Landschaft an.

Nach einer letzten Bergflanke tauchte plötzlich Palmas Skyline am nahen Horizont auf. Viele kleine weisse Häuser und ein Mordstrumm mittendrin: die Kathedrale machte aus dieser Perspektive tatsächlich den Eindruck einer Mixtur aus Motorblock und Kühlergrill, erstaunlich für ein Bauwerk aus grauer Vorzeit.

In der Nähe des Hafens strandete unser Taxi und wir machten uns auf den kurzen Weg zu unserem Ziel.

Gemütlich strolchten wir die rambla der conquistadoren entlang, lobten die Licht- und Schattenspiele der Palmen und schmiedeeisernen Laternen in der flirrenden Inselluft und Brabazon überraschte uns sogar mit einem Speiseeis in der Waffel.

Zwischen all den gemächlich wandelnden Menschenmassen entstand nun eine plötzliche Bewegung: ein nicht mehr ganz junger Mensch hatte offensichtlich einer Touristin die Handtasche entrissen und spurtete soeben den breiten Fussweg entlang, einem vermeintlich sicheren Ziel entgegen, das höchstwahrscheinlich nur er alleine kannte.

Einige Leute starrten dem Delinquenten erstaunt hinterher, aber die meisten taten so, als hätten sie nichts von dem kleinen Drama mitbekommen.

“Nun tun Sie doch was!“, wandte sich der Pfarrer erregt an mich, den weltlichen Wahrer aller Gesetze.

“Tun Sie doch selber was!“, konterte ich etwas ratlos, “können Sie nicht kurz einen blitz auf ihn herunterbeten?“

“Wie entsetzlich! Die arme frau!“, kommentierte Wilma und sollte Recht behalten, denn durch den Lärm angelockt näherte sich ein Polizist der Beraubten. Wenn das Publikum nun allerdings einen energischen Spurt des Gesetzeshüters erwartet hatte, vielleicht sogar ein kurzes Handgemenge mit dem Delinquenten, wurde es bitter enttäuscht. Der Beamte nahm ein Tathergangsprotokoll auf, notierte Namen und Adresse ...  eigentlich alles genau wie bei uns, lediglich das hoheitsvolle und gebieterische Auftreten will Amtspersonen hierzulande nicht mehr so recht gelingen.

Der Pfarrer schüttelte dann auch stumm den Kopf und wies resigniert in Richtung Innenstadt: da lang, immer der Nase nach, ist nicht mehr weit ...

Am Domplatz angekommen, stiessen wir sofort auf einen unübersehbaren Pulk von schwarz gewandeten Freizeitsportlern. Etliche schienen sogar zu beabsichtigen, in Kutte oder Soutane an den Start zu gehen. Nun, warum auch nicht! Ein tolles Sprachengewirr umschwirrte uns und unser ganz privater Schutzheiliger konnte sich nicht enthalten, ein begeistertes ’many tongues were being talked!’ auszustossen.

Sa calobra!

Durch einen Lautsprecher wurde nun höflich in verschiedenen Sprachen darum gebeten, sich auf die zugewiesenen Startpositionen zu begeben und der grosse Platz leerte sich in kürzester Zeit. Recht schnell wurde deutlich, dass der Zuschaueranteil an der Veranstaltung gegen null tendierte. Soo wahnsinnig schien das hier die Bevölkerung dann doch nicht zu interessieren.

Die erste Läufergruppe machte sich startbereit, eine sehr gemischte Gesellschaft zwischen achtzehn und fünfundsiebzig, alle Altersgruppen schienen hier vertreten zu sein.

“Es ist ja auch wirklich nicht einzusehen, warum es immer nur die Jugend der Welt sein muss, die sportlichem Geist hinterherläuft“, liess ich mir einen naheliegenden Scherz nicht entgehen und nickte munter in unsere kleine Runde, “zur Not tut’s doch auch die Tugend der Welt!“ Der Erzdiakon lächelte gequält. Das steigerte meine gute Laune nicht unerheblich.

“Geschloss’ner Start beim Marathon der Glaubenskongregation!“, kommentierte ich salopp das sportliche Geschehen aus dem Stegreif. Brabazon zuckte mit den Augenbrauen und presste die Lippen zusammen. Der Startschuss ertönte. Auch der Wettkampf der Frömmsten der Frommen wurde also durch einen Schuss eingeleitet.

“Also ich persönlich hätte ja als Startsignal einen Hammerschlag für passender gehalten“, steigerte ich den Unmut Brabazons. Um auch die Umstehenden an meinem Witz teilhaben zu lassen, verlegte ich mich kurz aufs englische: “Oh boy – this looks like a holy-men-stampede!“ So langsam kam ich in Form.

Als die Läufer unsere Position erreichten, mochten sie gute vierhundert Meter gelaufen sein, doch schon jetzt schien einer von ihnen mit verzerrtem Gesicht und auf die rechte Seite gepresster Hand am Ende seiner Kräfte zu sein. Was für eine Pleite!

“Ungehemmtes Messweinzechen führt zu verstärktem Seitenstechen!“, deklamierte ich ungerührt und ziemlich laut.

Der Läufer machte einen absolut hinfälligen Eindruck und schien sich offensichtlich kaum noch auf den Beinen halten zu können. Aufgeben mochte er aber auch nicht: ein wahrer Märtyrer in eigener Sache! So wankte er weiter, bis ihm unmittelbar vor mir die Puste völlig ausging. Nur gut, dass er mich nicht verstehen konnte.

“Leben heisst leiden!“, gab ich ihm aufmunternd mit auf seine via dolorosa. Der fromme Mann schlingerte und schnaufte, wie eine hundert Jahre alte Dampflok kurz vor dem Kolbenfresser. Dann sah er mich voll an.

“Man sieht sich immer zweimal im Leben, mein Sohn“, presste er schwer keuchend zwischen bebenden Lippen hervor, “Mindestens! Und ich vergesse niemals ein Gesicht!“ 

Dann humpelte er wieder zurück zum Startbereich, zweifellos um im Erste-Hilfe-Zelt kurz mal nach dem Rechten zu schauen.

Was war denn das für ein Spuk? Ich drehte mich um zu Erzkumpan Brabazon, der bislang knapp hinter mir gestanden hatte. Weg war er! Verblüfft drehte ich mich in die andere Richtung und blickte voll in Wilmas stahlblaue Augen, weil Wilma, die bislang knapp vor mir gestanden hatte, sich auch umgedreht hatte.

“Also wirklich!“, blitzte sie mich an, “das war ja wohl das Letzte! Benehmen sie sich eigentlich immer wie eine offene Hose?“

Ohne meine Antwort abzuwarten drehte sie sich ein weiteres mal um und ging kopfschüttelnd die Strasse hinunter. Verblüfft drehte auch ich mich wieder um, aber Brabazon stand natürlich immer noch nicht hinter mir. Während der unsichtbare Ansager einen weiteren Lauf ankündigte, machte ich mich allein auf den Heimweg. Man sollte eben niemals etwas zu dritt unternehmen, dachte ich frustriert. Die Engländer, die wahrscheinlich gerade in Bataillionsstärke Madaluf auseinandernahmen, wussten schon, was sie mit ihrem Abzählreim an Weisheit gebunkert hatten: two’s good company! Three’s a crowd! One’s a bum! Hätten Wilma und ich bloss nie diesen verdammten Pfarrer mitgenommen! Wären nur wir zwei losgezogen, wäre er jetzt der bum. Bumbum brabazon! Nun aber war ich’s: ich war der absolute Superbum! Und wem hatte ich das alles zu verdanken? Nur dieser scheiss Aldi-Tüte!

 

 

 

 (fortsetzung folgt)

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