(c)2008 by Sebastian Swampdiver
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“Ihr Einsatzort befindet sich übrigens nahe der bekannten Touristenhochburg Sa Calobra ... kennen Sie doch sicher, oder?“
Ich brauchte nicht lange nachzudenken. “Sa Calobra? Nie gehört.“
Der Chef stierte mich einfach weiter an, als wäre ganz plötzlich sein Film gerissen.
“Sa Calobra ...?“, fuhr ich also zögerlich fort.
“Genau, Sa Calobra“, tauchte er wieder aus der Versenkung auf, “ ... hört sich an wie ein spanischer Bannfluch, nicht wahr? ’Was? Mein Bier ist immer noch nicht kalt? Sa Calobra!’”
Der Chef lachte verhalten und überraschend quietschfrei über seinen eigenen Scherz. “Very invective! Wie auch immer: sie werden in San Granduino stationiert, in einem typischen Mittelklassehotel und warten dort weitere Instruktionen ab. Und machen Sie sich keine Sorgen: sie werden bestimmt zu nichts herangezogen, was Ihre Fähigkeiten übersteigt. Betrachten sie sich als typisch deutsche Eingreifreserve.“
Er wischte leicht mit der Hand über den Tisch; jetzt konnte nur noch Nebensächliches kommen:
“Nehmen Sie ihr Handy mit! Und hier haben Sie noch eins! Sie müssen immer, ich wiederhole: immer! und jederzeit erreichbar sein. Lesen sSe sich also alles genauestens durch, packen sie ihre Siebensachen und jetzt raus hier!“
Das war der andere Teil vom Stuhl-Trick: wer aufgefordert wird, sich aus einer angenehmen Position (sitzen) in eine weniger angenehme (stehen, gehen) zu begeben, wird nicht nur augenblicklich aus dem Paradies der gleichen Augenhöhe vertrieben, er landet auch sofort auf der anderen Seite der Macht, bei der Vorzimmerdame, die mit einem neugierig-flüchtigen “na, alles in Butter?“ sämtliche inneren Regler wieder auf Null zurückfährt. Egal, was man grade auch erlebt hat: ab jetzt läuft alles wieder in geordneten Bahnen.
Ich durchbohrte die Sekretärin mit meinem lässigsten Bond-Grinsen: von wegen typisch deutsche Eingreifreserve! Kurz bevor es peinlich wurde, quetschte ich aus dem Mundwinkel: “Ihre Tür quietscht!“
3
Me and my autoradio were heading down the street!
… hören wir nun ”tristeza on guitar” von Baden Powell …
Tristess!
Die ganze Tristesse dieses Landes ist definitiv in seinen Strassen verewigt. Sie steckt im Beamtengrau der Fahrbahndecke und rinnt träge aus dem Giftgelb der Verkehrsschilder. Sie verbirgt sich grün getarnt in den frisch rasierten Seitenstreifen und erhebt sich farblos brutal aus den monströsen Autobahnbrücken, um mich wahlweise in einen Zustand der Lähmung oder der Raserei zu versetzen. Ihr Soundtrack ist das diabolische Geheul der Rettungswagen und ihre Lightshows sind die gigantischen Ampelkreuzungen der Vorstädte! Was ist schon Stonehendge gegen eine deutsche Ampelkreuzung? Ein Haufen alter Steine! In der deutschen Ampelkreuzung aber entfaltet sich die reine Leere der Form, zu der dieses formlose Land gefunden hat, indem es die Blässe seiner Alltagskultur in Teer und Bitumen quer durch die Landschaft pflastert und durch diese Leere fahren Menschen in leeren Autos und alles in ihren leeren Gesichtern hängt runter, die Backen, die Mundwinkel, sämtliche Gesichtszüge sowieso und der ganze Rest wahrscheinlich auch und man fragt sich: hat man diese Strassen so gebaut, weil die Menschen hier so aussehen, oder sehen die Menschen hier so aus, weil man diese Strassen so gebaut hat ... ich blickte kurz hoch zum Rückspiegel und überraschte mich mit meiner eigenen vernörgelten Misanthropenfresse – Sa Calobra! Ich musste es wohl oder übel eingestehen: gäbe es für die Schwere einer Depression eine Art nach oben offener Richter-Skale, ich hätte mich jetzt spielend im höchsten Turbulenzbereich befunden.
Mallorca!
Steigt jemand gerne auf die Guilloutine? Doch wohl eher nicht. Steige ich gerne in ein Flugzeug?
... im Bereich des Autobahnkreuzes Heumar Gefahr durch auf der Fahrbahn liegende Leichenteile ...
SA CALOBRA!
(fortsetzung folgt)