MadStop@Loser's_Paradi.se

(c)2008 by Sebastian Swampdiver

 

eine Folge zurück

 

 

5

 

  

 

Als sich die Maschine langsam in Bewegung setzte, sackte mein Magen zum zweitenmal ab. Ich hatte meine Hände instinktiv in die Lehnen verkrallt, was nach Professor Jacobson ja durchaus schon eine profunde Anti-Panik-Übung darstellt.

Aus dem startenden Flugzeug ein letzter weher Blick aufs feste Land ... der Horizont wurde immer weiter, die Gebäude immer kleiner und die Fahrbahnmarkierungen aus dieser Höhe noch grusliger als ich sie während meiner Überlandfahrten eh schon erlebe. Eine weitere Minute Steigflug und die Strassen waren nur noch Bleistiftstriche und das Land unter uns sah aus wie jedes andere Land auf der Welt.

Ich zog hastig ein Taschenbuch aus meiner Jacke, schlug es aber nicht auf, sondern drehte es hektisch in meinen Händen hin und her, mal das Cover, mal die Rückseite betrachtend: Die Kunst der Krise von Egbert Zitronenbeisser. Ob das jetzt wirklich das richtige war? Um meine innere Unruhe zu unterdrücken, machte ich mir vor, es wäre gerade wegen ihr alles in bester Ordnung. Ich hatte mich tatsächlich im Laufe langer Dienstjahre in die etwas schräge Theorie geflüchtet, dass die ganze Fliegerei nur umso sicherer wäre, je mehr Angst ich während ihr verspürte; dass ich also erst dann so richtig ungefährdet wäre, wenn ich innerlich zitterte und bebte wie ein Wackelpudding bei der Notlandung ... manchmal half das sogar.

Ich schloss zitternd und bebend die Augen. Sofort brach das lebenspendende Geräusch der Turbinen in mein Bewusstsein. Denn sollten sie während des Fluges mit ihrem Lärmen jemals aufhören, würde auch alles Leben an Bord sehr bald ...

Ich begann mit dezenten Atemübungen ... während sich meine Sinne schärften, wurde das Fahrwerk unüberhörbar eingezogen ... oh du lebenspendendes Fahrwerk! Denn solltest du jemals festklemmen ...

Ein Ruck ging durch die Maschine und sogar die Engelsgestalt der Stewardess klammerte sich für einen kurzen Moment an einer Rückenlehne fest.

Wenn ich jetzt nicht auf der Stelle mit einer Panikattacke durchdrehen wollte, musste ich mir sofort Ablenkung verschaffen, egal wie.

“Fliegen Sie auch so gerne?“, sprudelte ich nach rechts, meinem Nachbarn mitten in eine Zettelsammlung, die wundersamerweise auf seinen Knien ausgebreitet lag. Das war ein derart überraschender Anblick, dass ich fast sofort wieder Boden unter die Füsse bekam.

“Was?“, kam es ungehalten zurück: “Selbstverständlich nicht!“

“Ja, aber warum ...“ begann ich, konnte meinen Satz aber nicht beenden, denn der heilige Mann neben mir legte unverzüglich nach: “Hören Sie mal, Sie müssen sofort damit aufhören, mit mir reden zu wollen! Ich habe wichtige Forschungsarbeiten zu verrichten und einfach keine Zeit, hier grossartig mit Ihnen rumzuquatschen! Sehen Sie das bitte augenblicklich ein! Im übrigen läuft bestimmt im bordeigenen Kinoprogramm ein für Leute wie Sie zurechtgeschusterter Porno!“

So hatte ich mir das nun doch nicht vorgestellt und etwas in meinen Augen musste ihm von meinen Schrecken erzählt haben, denn er blickte von seinem Zettelsalat noch mal hoch, starrte in mein Gesicht, nickte bedächtig mit seinem Kopf und konstatierte:

“…ach so, Sie haben Flugangst! Hören Sie, Sie müssen ganz einfach ihre himmlische Checkliste abhaken. Terroristen, Bomben an Bord, überraschender Tragflächenverlust oder plötzlich auftretender Umkehrschub: so was passiert einfach nicht. Jedenfalls nicht besonders oft. Sie sind hier so sicher, wie’s nur irgend geht. Sonst würd ich ja auch nicht mitfliegen, nicht wahr? So, und nun verhalten Sie sich bitte ruhig und hampeln Sie vor allem nicht so verkrampft in ihrem Sitz 'rum!”

Ich murmelte irgendwas von Flugangst, Höhenangst, Platzangst und musste damit seltsamerweise den humoristischen Nerv meines Begleiters getroffen haben.

“Aber warum sollte das Flugzeug denn platzen?“, kollerte er, “und wenn, dann wär’s doch auch egal. Ein schnelleres Ende werden Sie wohl nirgendwo sonst finden. Ja, das ist schon eigenartig, die Leute sitzen hier in ihrer Freizeitkleidung und blicken aus dem Fenster, als wär’s das Normalste von der Welt. Dabei bewegen sie sich doch geradewegs durch eine absolute Todeszone! Wenige Zentimeter neben ihrem Aluminiumkäfig gibt’s keine Luft mehr zum atmen und es ist so kalt wie auf dem Mond.“  Die Stewardess schwebte ein weiteres mal vorbei, konnte aber meinen guten Samariter nicht im Geringsten davon ablenken, mir in meiner Not beizustehen:

“Nein, es stimmt leider nicht, dass Flugzeuge mit Geistlichen an Bord seltener abstürzen als ohne, tut mir wirklich sehr leid! Es existiert sogar eine Statistik, die genau das Gegenteil besagt, aber das sollte Sie jetzt wirklich nicht weiter beunruhigen, die Häufung ist nicht sehr signifikant. Ich zähle solcherart Literatur auch eher zu den apokryphen Schriften ...“

Der fromme Mann lachte mit Urgewalt.

 

(fortsetzung folgt)

 

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