MadStop@Loser's_Paradi.se

(c)2008 by Sebastian Swampdiver

 

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7

 

  

Ich versuchte es also notgedrungen noch einmal mit meiner Lektüre. Ich hatte ein Lesezeichen ins Buch gelegt und das fiel mir jetzt entgegen. Mein Lilalesezeichen! Eine Fotografie von mir und Clara-Vera, aufgenommen von einem Japaner namens Minimoto vor einer Hamburger  Hafenkneipe ... Mister Minimoto takes a Photo ... Teebeutelimporteur aus Shanghai ... heutzutage war offensichtlich gar nichts mehr unmöglich ... vielleicht würde ja mein Bild den Absturz überstehen ... ein Katastrophenersthelfer würde es finden und seinem Kollegen zuraunen: “Den haben wir auch schon weggetütet ...“ und irgendwann würde Clara-Vera das Bild ihrem neuen Lover zeigen ... je mehr Bilder es von mir gab, desto mehr schien ich aus dieser Welt zu verschwinden ... guck mal, kennst du den da noch? ... ich war der Mann auf den Bildern ... in the forests of sherwood ... ich wurde zum Mann auf den Bildern ... free tickets to barnsdale ... ich bin der Mann auf den Bildern ... ee-i-ee-i-oooh ...

Plötzlich spürte ich einen Ellbogen in meiner Seite und wurde spitz zurückgestossen ins Hier und Jetzt, 10.000 Meter über einem balkenlosen Abgrund schwebend und mit freiem Ausblick auf den Boden eines zehn Kilometer tiefen Luftozeans. Mein Kopf schrumpfte sofort auf die Hälfte und wurde augenblicklich von einer Druckerpresse bearbeitet, dafür waren meine Arme auf einen Schlag dreimal so lang und fanden trotzdem nirgendwo festen Halt.

Allem Anschein nach hatte der unselige Pfarrer schon vor einiger Zeit ein Gespräch mit mir über die nationalen Eigenarten der verschiedenen Völker begonnen, ich hatte es bewusst nur noch nicht mitgekriegt. Wie konnte jemand, der doch eigentlich ungestört wichtige Forschungsarbeit verrichten wollte, derart pausenlos auf seine wehrlosen Mitmenschen einteufeln? Und das, obwohl er noch vor wenigen Augenblicken stinksauer auf sie gewesen war? Nun, der konnte es jedenfalls.

Ich fühlte mich zu schwach für irgendwelche Proteste und fügte mich schweigend und mit ausgetrocknetem Mund ins Unvermeidliche.

So hätten etwa die Russen, die Türken und die Deutschen doch mindestens eins gemeinsam, begann der Pfarrer soeben in aller Seelenruhe einen Randaspekt zu thematisieren: alle fühlten sie sich vom Rest der Welt angefeindet, wenn nicht gar gehasst, und dieser Umstand hätte sich natürlich tief in das kollektive Bewusstsein der Bevölkerungsschichten eingegraben. 

“Der Russe, zum Beispiel!“, begann der schwarze Mann erneut, “Also in Russland kennt man das Sprichwort `der Russe hat zwei Freunde: das Heer und die Marine!’“

Na, das kann was werden, dachte ich und hörte trotzdem nur zu gerne weiter zu. Alles war besser, als aus diesem Fenster starren zu müssen.

“In der Türkei ist man da schon wesentlich skeptischer eingestellt: Nur der Türke ist des Türken Freund! Heisst es da klipp und klar. Bemerkenswert!“

“Fehlt ja eigentlich nur noch ein Land, das nicht mal sich selbst leiden kann. So wie: nicht mal der Däne ist ein Dänenfan!“, fand ich endlich zu ein paar Worten, auch wenn mir die Zunge dabei merkwürdig dick und ungelenk vorkam.

“Sollte man meinen, sollte man meinen!“, ereiferte sich der Pfarrersmann, “Aber wo bliebe denn da der Dreh ins Positive? Bei aller Larmoyanz muss doch immer auch ein Funken Nationalstolz entfacht werden ...“

“Aha. Und? Wo wird der entfacht?“

“Na, wo schon! Im Land der Denker und Dichter natürlich! ’Viel Feind – viel Ehr’! Zack! Besser hat man das Negative wirklich nur selten ... nur allzu selten ...“

“... in den Himmel gehoben?“

Mein Nebenmann bedachte mich mit einem misstrauischen Blick.

“Aber da hätte man doch schon die Zutaten für einen erstklassigen Witz!“, hielt ich leicht schlingernd die Spur, “Ein Russe, ein Türke und ein Deutscher ...“

“... fliegen mit einem Flugzeug! Oh, ja, da liesse sich schon was draus machen. Warten Sie mal, also ich denke, das Flugzeug ... hm ... das sollte am besten abstürzen, oder? Was meinen Sie?“

“Tja ...“

“Und der Russe fängt sofort an herumzujammern: ’Warum denn nur haben wir nicht als dritten Freund noch die Luftwaffe?’...“

“Wie soll die denn da noch helfen?“

“... sagt der Deutsche? Hahaha ...“

“Und was sagt der Türke?“

“Ach, der würde wohl dasselbe sagen wie ich: der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen ... es wäre doch ausgesprochen witzlos, den Türken in einem Witz nicht bis ins Kleinste seinem Stereotyp entsprechen zu lassen ... und ein fröhliches Inschallah hat der Herr Zebaoth sowieso in jeder Religion lieb! Vor allem dann, wenn der Mensch seine Kontrolle soweit abgeben muss, dass er sich zu hundert Prozent in SEiner Hand befindet. Soll ich Ihnen nicht schnell einen Rosenkranz leihen? Bis zur zweifellos sicheren Landung?“

Ich schüttelte stumm mit vertrockneter Kehle den Kopf und blieb mit meinem Blick dann wie von selbst am Aluminiumfenster hängen. Draussen hatte es mächtig nachgedunkelt, “Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben soeben die Schweizer Landesgrenze überflogen und werden uns nun circa 30 Minuten im Luftraum der Eidgenossen aufhalten. Ich danke Ihnen“, wehte eine Ansage durch die Kabine. Die Körperlosigkeit der Stimme wurde leider etwas konterkariert durch ein eigentümliches Krächzen des Redners. Du liebe Güte, wenn der Pilot so gut fliegen wie reden konnte ...

“Papa, was ist denn ein Eidgenosse?“, wurde ich durch eine helle Knabenstimme eine

Reihe vor mir aus meinen Betrachtungen gerissen.

“Was?“, grummelte ein Bass verschlafen zurück, “ach Junge, das ist wahrscheinlich wieder so ein kommunistischer Scheissdreck ... schlaf einfach weiter!“

Einfach weiterschlafen! Ich jedoch starrte sprachlos in die allumfassende finsternis: irgendwo würde schon ein Lichtlein am Horizont aufleuchten ... irgendwann ... und dann wäre alles wieder gut, alles war überhaupt besser, als das hier ...

“Ein Amerikaner im Flugzeug wär’ vielleicht noch besser“, hörte ich von rechts durch mein pochendes Blut, “das wär’ ein schöner Kontrapunkt zum Russen. Das würde nämlich die Fallhöhe ungemein steigern ... die Fallhöhe des Witzes natürlich ... ja, erst die Fallhöhe verleiht einem Scherz die rechte Tiefe!“

Zum selbstzufriedenen Lachen des Predigers stöpselte ich mir hektisch die Earphones der Bordfilmanlage in die Ohren. Ich versuchte wohl auch, bestätigend zu grinsen. Die Anlage funktionierte nicht. Mein Grinsen auch nicht. Ich schloss die Augen.

“Na sehen Sie, ist doch alles halb so schlimm ...“

Ich sah nichts.

Und es war mindestens doppelt so schlimm.

 

 

(fortsetzung folgt)

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